Das Leben nimmt manchmal die verrücktesten Wendungen. Hier, kurz vor dem Ende der Welt sind sie manchmal unfassbar. Erst einmal muss ich dazu etwas richtigstellen. Медведь (gespr. Medwed) heißt Bär und nicht Wolf. Wolf heißt nämlich волк (gespr. Wolk). Der kommt hier zwar reichlich vor, ist aber in den Gesprächen kein Thema. Bären dagegen sehr. Immer wieder berichten mir die Menschen, wie viele Bären sie hier am Straßenrand gesehen haben. Ich habe auch Handyvideos gesehen, wie Bären angefahren wurden oder aus dem fahrenden Auto gefüttert wurden. (Und Videos, wie LKWs bei Flussüberquerung untergegangen sind oder im Eis eingebrochen. Unbegreiflich!)

Dimitri und sein Bruder überführen gerade ihren neuen Jeep nach Wladiwostok.
Dimitri und sein Bruder überführen gerade ihren neuen Jeep nach Wladiwostok.

Englisch im Nirgendwo

Gestern, stand ich wieder mitten im Nichts, wie so oft in den letzten Tagen. Bloß eine verlassene Tankstelle im Schnee, kaum Autos und minus 20 Grad und ein bisschen Wind um die Nase. Eine ganz gewöhnliche Situation, alltäglich im fernen Osten. Eine Mischung aus Langeweile, Meditation, fast gestilltem Fernweh und unfassbar kalten Füßen. Doch dann kommen sie. Dimitri und sein Bruder, die ihren neuen Jeep 5000 Kilometer nach Hause, nach Wladiwostok fahren wollen. Da war ich eine interessante Abwechslung auf der langweiligen Fahrt. Und, das ist in Russland eher selten, sie sprachen sogar Englisch und haben sich sehr für mein Reiseprojekt interessiert.

Nachdem ich ihnen mein Vorhaben erklärt habe, haben sie viel rumtelefoniert und geklärt, wie man aus Russland ausreisen kann. Wie ich erfahren habe, gibt es eine Fähre von Wladiwostok nach Japan. Jeden Dienstag kann man also auf diesem Weg Russland verlassen. Das wird langsam wichtig für mich und die Informationen, dass der Flug nach Alaska schwer, teuer oder gar unmöglich wird, häufen sich. Das ändert nichts an meinem Plan, es zu versuchen.

Meine Erfahrung zeigt, dass man man Informationen am besten vor Ort einholt, also plane ich meine Reise erst einmal weiter bis Magadan. Wenn der Flug aber nicht gelingt, kann ich immer noch umkehren und die 4000 Kilometer zurück nach Wladiwostok trampen. Eine Fähre sollte es dann am 17. Februar, dem letzten Tag meines Russlandvisums geben.

Dimitri hat mich nun an einer Kreuzung 25 Kilometer von Skorowodino rausgelassen. Sie ist sogar noch einsamer als die, an der er mich aufgegabelt hat. Nun ist auch der Asphalt zu Ende, die überfrorene Piste hat begonnen. Die Straße führt nach Jakutsk. Es sind noch 1100 Kilometer und der Verkehr wird immer weniger.

An dieser Kreuzung hat mich Dimitri rausgelassen.
An dieser Kreuzung hat mich Dimitri rausgelassen.

Aber anders als der Verkehr nimmt die Gastfreundschaft hier nochmal weiter zu. Je karger die Landschaft und ärmer die Menschen, desto mehr kümmern sie sich um einander, helfen sich oder interessieren sich nur aus Langeweile. Mir ist es egal, Hauptsache ich sitze warm und werde chauffiert. Stück für Stück ging es auch dort weiter, mit einem alten russischen Jeep, wie ich ihn das letzte Mal in Turkmenistan erlebt habe, als mich die Polizei damit festgenommen hat – natürlich nur wegen illegalen Trampens.

Hammer und Sichel in Sibirien
Hier verrostet der Kommunismus neben der Straße.

Kommunismus, Elfenbein und Eisleber Diskos

Da stand ich nun in einem Dorf, wo der demontierte Sozialismus noch an der Straße thront. Hammer und Sichel rosten vor sich hin. Schließlich gabelt mich Alexandr auf, der atemberaubend schnell auf überfrorener Straße nach Neruingri brettert – einer Stadt, die von der Kohle lebt. Auch ist der Sozialismus noch sichtbar und der Supermarkt heißt Paradies. Vielleicht träumen die Leute hier davon. Aber im schlimmsten Fall enden Sie wie die Mammuts, deren Elfenbein hier in der Tundra aus dem Permafrostboden gegraben werden. Souvenire aus Mammutelfenbein kann man hier sogar kaufen. Und so abgeschieden ist der Ort dann doch nicht: Die örtliche Disko heißt Sax – vielleicht ein Ableger der Disko in Eisleben? Franchising made in Russia.

Am Morgen nach meiner Nacht im Mammutsozialismus führte die Straße dann durch schwarzen Schnee. Schwarz von der Kohle, die dort ununterbrochen gefahren wird. Auch die Fahrzeuge werden langsam größer. Ich habe schon Tieflader gesehen, die waren in der Lage nur ein Rad zu transportieren – das war aber auch entsprechend groß.

Iwan hatte ich schon einmal 4000 Kilometer weiter im Westen getroffen.
Iwan hatte ich schon einmal 4000 Kilometer weiter im Westen getroffen.

Wiedersehen 4000 Kilometer weiter östlich

Russland ist eben ein großes Land. Da braucht man auch große Räder, einen langen Atem und eben ein wenig Geduld. Letzteres hat sich heute ganz besonders ausgezahlt, denn auf einmal kam ein alter Bekannter vorbei. Iwan hatte ich schon einmal vor fünf Tagen 4000 Kilometer westlich getroffen. Er ist mit seinem Spezialtruck unterwegs nach Magadan.

Tunnelbohrer Sibirien
Iwans Spezialtruck kann große Löcher bohren. Dafür gibt es keine Heizung.

Das Auto ist in der Lage, 12 Meter tiefe Löcher zu bohren. In diese wird dann das Fundament für Masten gegossen, um eine 350 Kilometer lange Stromtrasse mitten durch die Wildnis zu schlagen. Er wird damit 2 Jahre beschäftigt sein aber erst einmal ist er Wochen damit beschäftigt, das nagelneue Auto aus Jekaterinburg nach Magadan zu fahren – also nur rund 8000 Kilometer. Von nagelneu kann dann allerdings auch keine Rede mehr sein. Und das Auto strotzt ansonsten auch nur so vor Luxusextras. Es nämlich außer dem Spezialbohrer, genau, gar keine. Weder Heizung (russische Anpassungsfähigkeit), noch Steckdose (russische Improvisationsfähigkeit), keine Uhr (russische Pünktlichkeit), kein Thermometer (russische Ignoranz), kein Nummernschild (russische Abenteuerlichkeit). Nicht mal ein Radio ist in diesem „Spezialauto“ verbaut. Aber die Russen sind ja für ihren Gesang bekannt und so saßen wir im Auto und sangen lange selbst.

LKW Russland Amaturenbrett
So sah das Amaturenbrett im „Spezialfahrzeug“ aus. Nicht mal ein Radio gab es.

Unheimliche Begegnung der angenehmen Art

Und so fahren wir, mit dem Schaltknüppel zwischen meinen Knien, seit vielen Stunden mit bester Laune durch die Weiten.
Und plötzlich kam das Unfassbare, womit man an diesem hintervorletzten Ort der Welt nicht rechnen würde. Eine unbegreifliche Begegnung, wie ich sie liebe und die mich dankbar sein lassen für mein Leben, mein Erleben, meine Möglichkeiten und meine planlosen Abenteuer.

Da stehen sie. Zwei polnische Trmper. Wir halten an, um solch eine Tramperbegegnung auch ordentlich zu würdigen. Das Pärchen ist seit 8 Monaten durch Asien unterwegs und gerade auf dem Weg von Tomtor, kurz vor Magadan nach Wladiwostok. Es ist eine kurze aber herzliche Begegnung. Wir lachen viel, umarmen, tauschen unsere Adressen aus, und wünschen uns alles Gute.
Was mich besonders beeindruckt: Wo bitte kann man so eine Frau finden? Ich suche jedenfalls noch.

Tramper Polen Sibirien
Diese beiden Tramper aus Polen haben sich ebenfalls im Winter nach Sibirien verirrt.

Die Nacht verbringen wir in Ulu, 250 Kilometer vor Jakutsk. Iwan muss schlafen, die Kabine ist aber eng, also verbringe ich die Nacht in einer klitzekleinen Spelunke bei Lena. Im Fernsehen läuft Big Brother, alles fast wie daheim, nur eben plus mit dem Unterschied, dass hier Lena ist, die immer mal hinüberlacht. Um 5 Uhr wecke ich dann aber schließlich Iwan, nachdem ich selbst wach geworden bin. Wenige Stunden später sind wir endlich in Jakutsk.

Ich habe ein Nickerchen bei Lena in der Kneipe gemacht.
Ich habe ein Nickerchen bei Lena in der Kneipe gemacht.

Weiterreise ungewiss

Die Nacht in Jakutsk verbringe ich dann schließlich mit Recherchen zu meiner Weiterreise. Es hat sich herausgestellt, dass alles ganz anders ist, als gedacht. Oder vielleicht auch nur so wie im schlechtesten Fall befürchtet. Es gibt nur eine Möglichkeit, vom fernen Osten Russlands in die USA auszufliegen – mit Beringair im Charterbetrieb. Das heißt, ich müsste das ganze Flugzeug mieten und allein reisen. Das ist mit 16.500 US-Dollar preislich zwar drin aber aus ökologischer Sicht natürlich völlig inakzeptabel. Außerdem gilt der Preis für die Strecke von Anadyr nach Nome. Das birgt noch eine Vielzahl weiterer Probleme:

  • minus 60 Grad
  • kein Verkehr bis Magadan
  • keine Straßenanbindung nach Anadyr
  • aber auch keine Straßenanbindung bis Nome

Kurz, der Plan muss geändert werden. Es gibt aber die Fähre von Wladiwostok nach Korea oder Japan. Die werde ich wohl nehmen. Der Haken: sie fährt Mittwoch. Das heißt in 5 oder 12 Tagen. Mein Visum endet aber schon in 11 Tagen. Daher werfe ich all meine Habe jetzt in Jakutsk in den Rucksack und stelle mich zurück an die Straße Richtung Süden. 1000 Kilometer wieder zurück zur Kreuzung, dann 2000 Kilometer weiter nach Wladiwostok und flugs aufs Schiff. Hoffen wir, dass es gelingt. Aber warum auch nicht? Bis jetzt ist ja in meinem Leben noch alles gelungen. Die Bilder von Jakutsk muss ich euch demnächst noch nachreichen. Jakutsk ist ein Kältepol der Welt. Heute herrschen allerdings gemütliche minus 34 Grad. Für Übermorgen werden minus 44 Grad erwartet.

Posted by Gregor Majewski

Hi, ich bin Gregor und schreibe hier auf Rooksack über meine Abenteuer per Anhalter in der Welt. Ich mache jedes Jahr einen längeren Trip und schreibe hier für euch. Wenn ihr mehr davon lesen wollt, dann folgt uns doch auf Facebook, Twitter oder abonniert uns per E-Mail!

One Comment

  1. Gerlinde Lipfert Februar 6, 2015 at 12:55

    Hallo, Tramper Gregor im Nirgendwo!
    Ich, Annes Schwester, die vom Jakobsweg, begleite

    diese Tour mit riesigem Interesse.
    Ich fiebere mit, dass die Überfahrt zeitlich gelingt. Auch meine Mutter und mein Mann interessieren sich sehr für die Berichte.
    Alles Gute auf dem weiteren Weg!!

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